Das systemische Gewissen
…und der Umgang damit im Coaching
Geschrieben von NLP-Professional-Coach, Andrea Aigner
EINFÜHRUNG
Was hat mich zu NLP gebracht?
Als Personalreferentin in einem mittelständischem Software Unternehmen habe ich sehr viel Kontakt mit Menschen – meinen Kollegen, meinen Vorgesetzten und vor allem meinen „Kunden“, den Mitarbeitern, mit denen ich „gut“ und fair umgehen möchte. Auch in meinem Privatleben habe ich das Bestreben, mich meinen Mitmenschen gegenüber interessiert, aufgeschlossen und wertschätzend zu verhalten. NLP kann mir dabei eine große Hilfe sein.
Den ersten Kontakt zu NLP hatte ich im Rahmen meiner Ausbildung zur Systemaufstellerin für systemische Familien- und Organisationsaufstellungen. Ich war von den dort erlernten NLP „Grundkenntnissen“ sehr fasziniert und habe mich daher entschieden, das NLP Handwerk „von der Pike auf“ zu lernen und habe im Jahr 2018 eine NLP Ausbildung bei Alexander Training begonnen. Nach Abschluss meiner Practitioner und Master Ausbildung im Frühjahr 2019 habe ich mich entschlossen, auch noch die Ausbildung zum NLP Coach zu absolvieren und die hier zusätzlich gewonnenen Fähigkeiten wirkungsvoll und auf hohem professionellen Niveau sowohl in meiner Tätigkeit als Personalreferentin als auch als Coach für berufliche Neuorientierung einzusetzen.
Was bedeutet NLP für mich persönlich?
Neuro – meine spezifische Wahrnehmung meiner eigenen Welt und der Umwelt
Seitdem ich mich mit NLP beschäftige, kenne ich meine beiden primären Wahrnehmungssysteme. Ich beobachte mich immer wieder gerne dabei, wie ich in bestimmten Situationen mich und meine Umwelt wahrnehme und welches Repräsentationssystem ich dabei bevorzugt benutze. Faszinierend finde ich, die Submodalitäten meiner Wahrnehmung zu kennen und ggf. zu ändern. Als Kind habe ich mir bei aufregenden Filmen immer beide Hände vor das Gesicht gehalten und nur ein kleines „Guckloch“ frei gelassen, durch das ich dann weitaus entspannter dem Geschehen auf dem Bildschirm folgen konnte. Heute weiß ich, dass ich als Mensch, der stark visuell wahrnimmt, dem Bild einen Rahmen gegeben und es damit auf eine für mich angenehme Größe verkleinert habe. Wenn ich dann zusätzlich noch den Ton leiser oder ausgeschaltet habe, hat das noch mehr zu meiner Entspannung beigetragen. Diese Technik, die ich als Kind bereits intuitiv benutzt habe, möchte ich weiterhin ausbauen, um stressige oder Angst hervorrufende Situationen für mich, aber auch für andere Menschen, durch Änderung der kritischen Submodalitäten in entspannte Situationen verändern zu können.
Linguistisches – meine verbale und non-verbale Kommunikation mit Anderen
Mit Hilfe von NLP fällt es mir leichter, auf meine Mitmenschen einzugehen. Es bereitet mir Freude, mich auf meinen Gesprächspartner einzulassen und zu erforschen, in welcher Stimmung er sich befindet bzw. in welchem Repräsentationssystem er bevorzugt unterwegs ist. Das Anpassen meiner Sprache, der Lautstärke, der Melodie und dem Klang meiner Stimme an mein Gegenüber sowie auch das Beobachten und Abstimmen der nonverbalen Komponenten wie z.B. die Atmung, die Bewegungen und Körperhaltung des Anderen machen es mir möglich, mich auf seinen Zustand einzustellen und damit einen Rapport, eine gute Beziehung, zu ihm aufzubauen. Wenn der Rapport erst einmal besteht, kann ich im Bedarfsfall
durch aktives Leading versuchen, meinen Gesprächspartner von einem eher schlechten in einen guten Zustand zu leiten, um damit die Ausgangssituation für eine gute Kommunikation zu schaffen.
Programmieren – wie kann ich meine eigenen Verhaltens- und Denkmuster entschlüsseln und verändern?
Die Technik des Reframings begeistert mich immer wieder. Indem ich einem Ereignis einen anderen Rahmen gebe und dessen Bedeutung für mich damit verändere, kann ich auch einem auf den ersten Blick negativen Thema positive Seiten abgewinnen. Das gibt mir zusätzliche Handlungsmöglichkeiten und macht mich frei(er).
Sehr gerne arbeite auch mit meinen Glaubenssätzen, die mich schon lange begleiten, teilweise bereits in der Kindheit installiert wurden und als sich immer wiederholende Verhaltensmuster mein Leben mitbestimmen und beeinflussen. Schon während meiner Ausbildung zum NLP Practitioner und Master habe ich mich viel damit beschäftigt, diese Glaubenssätze zu hinterfragen und vor allem die mich limitierenden aufzulösen.
Da viele Glaubenssätze in einem engen Zusammenhang mit unserem systemischen Gewissen stehen, möchte ich kurz einen Exkurs in die Welt der Glaubenssätze machen, bevor ich zu meinem eigentlichen Thema dieser Arbeit komme.
Die Arbeit mit Glaubenssätzen
Definition Glaubenssatz
Glaubenssätze sind Generalisierungen (Verallgemeinerungen), entstanden und gewachsen aus den unterschiedlichen Erfahrungen, die wir bisher in unserem Leben gemacht haben. Aufgrund dieser Erfahrungen sind wir fest davon überzeugt, dass bestimmte Dinge wahr oder falsch sind. Das bedeutet, wir glauben fest daran. Glaubenssätze sind wichtig für uns. Sie dienen als Wahrnehmungsfilter, die uns dabei unterstützen, Entscheidungen und Beurteilungen in unserem Leben treffen zu können.
Generell können wir zwei Qualitäten von Glaubenssätzen unterscheiden – diejenigen, die für uns hilfreich und förderlich sind (wie z.B. die Gewissheit, dass unser Herz stetig und gleichmäßig weiterschlägt und dafür sorgt, dass genügend Blut und Sauerstoff in jeden Teil unseres Körpers gepumpt wird, auch wenn wir schlafen), aber auch diejenigen, die uns eher einschränken. Diese uns limitierenden Glaubenssätze können uns daran hindern, die Erfüllung unserer Träume und Wünsche zu erreichen bzw. den gewünschten Erfolg zu erzielen. So z.B. kann ich den Glaubenssatz haben „Das konnte ich nie und werde es auch niemals können.“ Dieser Glaubenssatz wird sehr wahrscheinlich dazu führen, dass ich das auch niemals ausprobieren werde, damit ich erst gar nicht scheitern kann.
Als NLP Coach habe ich mehrere Möglichkeiten zusammen mit meinem Klienten diese hinderlichen, den Klienten limitierenden Glaubenssätze aufzulösen und damit auch neue Wahlmöglichkeiten zu eröffnen. Zuerst aber möchte ich kurz drei unterschiedliche Arten von Glaubenssätzen erklären.
Arten von Glaubenssätzen
Robert Dilts unterscheidet in seinen Büchern „Identität, Glaubenssätze und Gesundheit“ und „Die Veränderung von Glaubenssystemen“ drei Arten von Glaubensätzen:
Glaubenssätze in Bezug auf Ursachen – wenn x, dann y
Weshalb ist etwas, wie es ist? Ein Glaubenssatz, der daraus entsteht, entspricht einer verletzten Ursache-Wirkung-Beziehung. Wir glauben, dass x immer eine bestimmte Reaktion zur Folge hat und reagieren dann auch dementsprechend. So wird z.B. ein äußerer Umstand gerne als Rechtfertigung für den eigenen Misserfolg genannt: „Weil meine Mutter wollte, dass ich immer meinen Teller aufesse, bin ich zu dick.“
Glaubenssätze in Bezug auf Bedeutung – x = y
Hier handelt es sich um Glaubenssätze, die sich mit den Konsequenzen unseres Verhaltens und Tuns beschäftigen. Diese Glaubenssätze, die wir in Bezug auf Bedeutungen haben, fördern genau die Verhaltensweisen, die diesen Bedeutungen entsprechen. Dies nennt man im Metamodell der Sprache eine komplexe Äquivalenz: „Wenn ich nicht alles perfekt und selbst machen kann, werde ich nie viel Geld verdienen.“
Glaubenssätze in Bezug auf Identität
Diese Art von Glaubenssätzen beziehen sich auf unser Selbst und dienen zur Identifikation unserer eigenen Persönlichkeit. Sie können Glaubenssätze in Bezug auf Ursachen und Bedeutung mit einbeziehen bzw. von ihnen abhängig sein. Häufig sind sie, genau aus diesen Gründen, nicht so leicht zu verändern und können uns von einer notwendigen Veränderung abhalten, insbesondere wenn sie uns nicht bewusst sind. (z.B. „Ich bin zu nichts zu gebrauchen.“).
Glaubenssätze haben nichts mit Logik zu tun. Ganz im Gegenteil – sie können die unterschiedlichsten Gefühlskonfusionen zur Folge haben. Wir erleben emotionale Höhen und Tiefen, die uns durchaus auch daran hindern können, unser Erleben einer bestimmten Situation so zu steuern, wie wir uns das eigentlich wünschen.
Wann sprechen wir von einem Glaubenssatzmolekül?
Ein anderes Wort für ein Glaubenssatzmolekül ist ein Glaubenssatzsystem. Damit ist gemeint, dass Glaubenssätze selten einzeln auftreten, sondern sich fast immer um einen Kernglaubenssatz gruppieren. Das bedeutet, es ordnen sich weitere Glaubenssätze um den Kernglaubenssatz herum an, die aus diversen Lebenserfahrungen und Schlussfolgerungen daraus, resultieren. Die Veränderung von Glaubenssatzmolekülen ist daher weitaus komplexer und weitreichender in ihren Implikationen als die Veränderung einzelner Glaubenssätze.
Hindernisse bei der Arbeit mit Glaubenssätzen
Um erfolgreich mit seinen Glaubenssätzen arbeiten zu können, sollte man sich zuerst damit beschäftigen, wie es mit der Motivation, der Fähigkeit und der Erlaubnis, diese Glaubenssätze zu ändern, aussieht.
Will ich?
Besteht wirklich die Motivation, diesen Glaubenssatz zu verändern? Hier geht es auch um die wichtige Frage nach dem Sekundärgewinn. Auch ein auf den ersten Blick schlechtes Verhalten kann beim Klienten für einen meist unbewussten Sekundärgewinn sorgen. Ein klassisches Beispiel hierfür ist bei Menschen, die rauchen, das Entspannungsgefühl, das auftritt beim Rauchen einer Zigarette oder die Sicherheit, die entsteht, wenn es etwas gibt, das in der Hand gehalten werden kann.
Kann ich?
Hier geht es darum, zu erkennen, ob der Klient auch alle Fähigkeiten mitbringt, um die gewünschte Veränderung erzielen zu können. Der Klient muss wissen, welche Ressourcen er benötigt (und in sich trägt), um den gewünschten Zielzustand erreichen und auch halten zu können.
Darf ich?
Darf der Klient sich die Erlaubnis geben, eine Veränderung anzustreben und auch umzusetzen? Bei dieser Frage beschäftigen wir uns mit der Solidarität des Klienten zu den bestehenden Werten und auch zu anderen Menschen, z.B. in seinem Familiensystem. Diese Solidarität ist eng verknüpft mit dem systemischen Gewissen.
HAUPTTEIL
Systemischer Ansatz
Hinter dem Systemischen Ansatz steht eine bestimmte Art, die Wirklichkeit zu sehen und daraus therapeutische und beraterische Herangehensweisen abzuleiten. Neben der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie ist der systemische Ansatz der am weitesten verbreitete und praktizierte Therapie- und Beratungsansatz.
Systemisches Arbeiten nimmt nicht das Individuum als defizitär in den Blick, sondern geht davon aus, dass Menschen stets versuchen, sich so an ihre Umwelt anzupassen, dass diese in ein Gleichgewicht kommt, selbst wenn dies oft ein Leiden zum Preis hat.
Im systemischen Denken kann therapeutisches oder beraterisches Handeln nicht darauf zielen, von außen gesteuerte Veränderungen herbeizuführen, sondern es ist nur möglich, Impulse in ein System zu geben, das dadurch in Bewegung kommt und möglicherweise neue, für alle Beteiligten dienlichere Konstellationen findet.
Alle Menschen werden in ein Familiensystem hineingeboren und fühlen sich diesem ihr Leben lang verbunden und verpflichtet. Diese Verbundenheit und Verpflichtung äußert sich z.B. durch unsere Glaubenssätze, die u.a. wir als Kinder von den Erwachsenen (z.B. Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, ältere Geschwister etc.) in unserem Familiensystem entweder übernommen oder im Laufe unserer Kindheit erlernt haben.
Das Familiensystem als lebendiges System
Der Begriff des Systems leitet sich von „Systema“ (griech.) = Zusammengesetztes ab. Er bezeichnet eine aus einzelnen Elementen zusammengesetzte und geordnete Ganzheit. Diese Einheit funktioniert als Ganzes durch die Interaktion ihrer Teile. Die Beziehung unter den Systemteilen ist dabei quantitativ intensiver und qualitativ produktiver als ihre Beziehungen zu anderen Elementen außerhalb des Systems. Für lebende Systeme gilt: „Alles verändert sich, es sei denn, irgendwer oder irgendwas sorgt dafür, dass es bleibt, wie es ist. (Simon F., Meine Psychose, mein Fahrrad und ich.) Anders ausgedrückt: Wenn ein Teil sich verändert, hat dies selbstverständlich auch eine Wirkung auf die anderen Teile des Systems. So ist jeder von uns Teil eines Ganzen – eines Systems – und mit diesem schicksalhaft verbunden.
Das systemische Gewissen
Jedes System hat ein Gewissen.
Die Aufgabe dieses Gewissens ist es, auf die Einhaltung der Regeln im System zu achten. Dabei definiert und sichert es auch die Zugehörigkeit eines jeden Einzelnen zum System.
Das systemische Gewissen erhält das Gleichgewicht im System und steht daher im Dienst aller drei grundsätzlich im System herrschenden Beziehungen (Bindung, Ordnung, Ausgleich).
Das systemische Gewissen hält uns bei der Gruppe wie ein Hütehund die Schafe bei der Herde oder anders ausgedrückt: das systemische Gewissen wirkt wie ein starkes Gummiband – je weiter wir uns von unserem Familiensystem wegbewegen, desto kräftiger zieht uns dieses Band zurück, falls wir durch unser Handeln gefühlt die Zugehörigkeit in Frage stellen und gefährden würden.
Wichtig ist dabei, zu beachten, dass das systemische Gewissen fast völlig unbewusst wirkt. Menschen, die sich niemals mit therapeutischer Arbeit beschäftigt haben, werden ihr eigenes systemisches Gewissen wohl niemals wahrnehmen können. Hingegen erschließt sich das systemische Gewissen all denen, die im Laufe ihres Lebens Berührung mit therapeutischer Arbeit in der ein oder anderen Weise haben.
Allerdings wäre es vermessen zu glauben, man könne die Wirkung des systemischen Gewissens, die eigenen Angelegenheiten betreffend, jemals voll und ganz durchschauen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich auch noch kurz darauf eingehen, dass natürlich nicht nur das systemische Gewissen des Familiensystems auf den Einzelnen wirkt. Auch übergeordnete systemische Gewissen wie z.B. Völkerrechte, Menschenrechte, Umgangsformen der Gesellschaft in den jeweiligen Kulturen oder aber auch ganz simpel betrachtet das systemische Gewissen des Unternehmens, in dem wir arbeiten, haben einen starken Einfluss auf jeden Einzelnen. Auf letztere möchte ich hier in dieser Arbeit aber nicht detaillierter eingehen, sondern mich hauptsächlich dem systemischen Gewissen des Familiensystems widmen.
Die drei Säulen nach Bert Hellinger
Bert Hellinger (bürgerlich Anton Hellinger; geboren am 16. Dezember 1925 in Leimen; gestorben am 19. September 2019) war ein deutscher Buchautor, Psychoanalytiker und Familientherapeut. 1952 zum Priester geweiht, war er viele Jahre lang Leiter einer südafrikanischen Missionsschule. Seit den späten 1970er Jahren entwickelte er, unter Abwandlung von Methoden der systemischen Familientherapie, mit seiner Form der Familienaufstellung eine von ihm selbst als Lebenshilfemethode bezeichnete Gruppenarbeit.
Inspiriert wurde er u.a. durch die familientherapeutische Arbeit von Virginia Satir (1916 –1988), die in den 60er Jahren mit Familienaufstellungen auf sich aufmerksam gemacht hatte. Virginia Satir warf damals schon die Frage nach den Folgen des „Eingebunden seins“ eines Individuums in die Reihe der Generationen auf.
Hellinger benannte als die drei systemischen Grundbedürfnisse des Menschen die Bereiche Bindung, Ordnung, Ausgleich. In unserem Kulturkreis könnte man diese Bereiche auch als eine gewisse Grundordnung innerhalb einer Sippe bezeichnen.
Bindung und Zugehörigkeit
Die Schicksalsbindung entsteht durch das Hineingeboren werden in ein System. Spätere Bindungen entstehen durch die eigene Wahl eines Partners oder durch Elternschaft.
Bindung äußert sich als Liebe, Treue und Loyalität. Sie wird als innere Notwendigkeit erlebt und beinhaltet das Recht auf Zugehörigkeit.
Ordnung im engeren Sinne
Die Ordnung im engeren Sinne bezieht sich auf eine zeitliche Abfolge und den „richtigen“ Platz des Einzelnen im System.
Innerhalb eines Systems gilt, wer zuerst in einem System da war, hat Vorrang vor den Nachfolgenden. So haben Eltern Vorrang vor den Kindern, Erstgeborene vor den später Geborenen, frühere Partner vor den späteren Partnern.
Im Verhältnis von zwei Systemen untereinander ist es genau umgekehrt. Hier hat das jüngere, aktuelle System Vorrang vor dem vorhergegangenen. Das bedeutet, dass eine neue Familie immer Vorrang vor der früheren hat (Scheidung und Gründung einer neuen Familie).
Ausgleich von Geben und Nehmen
In einem System geht es immer darum, dass gegeben und genommen wird. Dieser Ausgleich gilt sowohl in der Gegenwartsfamilie als auch generationenübergreifend, die Herkunftsfamilie betreffend. Dabei wird Geben oft als Unschuld und Nehmen als Schuld empfunden.
Wie kann ich als NLP Coach das systemische Gewissen in der Arbeit mit meinem Klienten berücksichtigen?
Zum Ablauf eines jeden Coachings gehört im NLP der sogenannte „Öko-Check“. Im Rahmen dieses Checks überprüfen wir, ob es bei dem Klienten etwas gibt, was gegen eine mögliche Veränderung spricht. Denn – wie in den vorherigen Ausführungen schon erwähnt – wenn sich jemand verändert, hat das nicht nur Auswirkungen auf sein Leben, sondern auch auf seine Umwelt, und damit auch auf sein Familiensystem. Die Menschen um ihn herum müssen/werden sich womöglich auch verändern, da sich der Klient nun anders verhält. Wenn der Klient damit kein Problem hat, ist alles bestens.
Sollte der Klient doch Schwierigkeiten haben, sich eine mögliche Veränderung vorzustellen, kann dies möglicherweise ein Hinweis auf Verstrickungen aufgrund seines systemischen Gewissens sein. Diese Schwierigkeiten sollten im Vorfeld durch eine geeignete, vorgeschaltete Intervention geklärt werden, damit beim nachgelagerten Coaching ein sinnvolles und erfolgreiches Ergebnis erzielt werden kann.
Was sind Verstrickungen im Sinne des systemischen Gewissens?
Als Verstrickungen betrachten wir z.B. Werte, die sich oft aus den im Familiensystem herrschenden Überzeugungen entwickeln, und daraus entstandene Glaubenssätze, die einen Menschen unbewusst an sein Familiensystem binden. Aus diesen Verstrickungen heraus können starke Blockaden entstehen, die einen Klienten daran hindern, eine – auch von ihm selbst herbeigesehnte – Veränderung vollziehen zu können.
Mit welchen Formaten können diese Verstrickungen bearbeitet werden?
Im Rahmen des Coaching Gespräches könnte sich beispielsweise herausstellen, dass ein Klient sich etwas nicht zutraut, nicht erlaubt, weil er glaubt, damit seinem System „untreu“ zu werden. Als Coach kann ich mit verschiedenen Fragetechniken wie Metamodellieren oder zirkulären Fragen ergründen, wem genau er in seinem Familiensystem untreu wird oder aber auch, wer es in seinem Familiensystem genauso gemacht hat und wem der Klient, wenn er sein bisheriges Verhalten beibehält, „treu“ bleibt. Beide Varianten können durch die systemische Verstrickung zu heftigen, unterbewussten Blockaden führen, die eine Veränderung nur sehr schwer oder vielleicht sogar überhaupt nicht möglich machen.
In dieser Arbeit möchte ich auf drei mögliche Formate eingehen, die angewandt werden können, um Blockaden dieser Art zu bearbeiten und im besten Fall aufzulösen:
1. Wahrnehmungspositionen
Je nachdem, aus welcher Perspektive wir ein Ereignis wahrnehmen, fällt auch unsere Interpretation dieses Ereignisses aus. Diese Interpretation ist die Grundlage unseres Fühlens und Handelns. Betrachte ich z.B. einen Streit aus der Perspektive des einen Beteiligten werde ich ihm zustimmen. Wechsle ich zur Perspektive des anderen Beteiligten, werde ich eher
diesem zustimmen. Bin ich selbst betroffen, verteidige ich logischerweise meinen eigenen Standpunkt und verstehe nicht, weshalb die Anderen so uneinsichtig sind.
Zu einer Konfliktlösung tragen diese eingeschränkten Sichtweisen sicherlich alle nicht bei. Es geht also darum, eine ausgewogene Beurteilung der Situation herzustellen – also auch die Wahrnehmung der anderen beteiligten Personen und die einer neutralen Position mit einzubeziehen.
Besonders gut funktioniert das, wenn wir nicht nur darüber nachdenken, was die andere Person denken oder fühlen, wie sie sich verhalten könnte, sondern die unterschiedlichen Positionen einnehmen und damit auch die unterschiedlichen Perspektiven erleben können. Mit Hilfe von sog. „Bodenankern“ erleben wir die verschiedenen Perspektiven der Realität (der beteiligten Personen). Dabei unterscheiden wir drei Positionen:
ICH-Position
In der ICH-Position ist der Klient voll und ganz mit sich selbst assoziiert. Seine ganze Wahrnehmung und sein daraus resultierendes Denken geschieht aus seiner eigenen Sichtweise heraus. Er sieht aus seinen Augen, hört mit seinen Ohren und empfindet seine eigenen Gefühle.
DU-Position
In dieser Position betrachtet sich der Klient „von außen“ mit den Augen des Anderen. Er ist in diesem Moment von seinen eigenen Gefühlen dissoziiert und erlebt die Welt mit den Augen, Ohren und Gefühlen des Anderen. Dies ermöglicht ihm, den Anderen auf einer tiefen, emotionalen Ebene zu verstehen.
META-Position
Das Wort „Meta“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „über“. Im NLP kann man es so verstehen, dass der Klient auf dieser Position „über den Dingen steht“. Er erlebt die Situation von einer höheren, distanzierteren Warte – wie z.B. von einer Wolke – aus. Er ist sowohl von der ICH- als auch von der DU-Position dissoziiert.
Seine Sinneskanäle sind weit offen und aufnahmebereit. In dieser Position ist der Klient frei von Wertungen und daher fähig, kreative, neue Lösungen zu finden. Dabei hat er die Möglichkeit, die Welt aus verschiedenen Perspektiven wahrzunehmen. Jede Perspektive bietet andere Informationen und eröffnet damit weitere Sichtweisen, die zur Beurteilung einer Situation hilfreich sind.
In der Anwendung dieses Formates führt der Coach den Klienten nach und nach auf die Bodenanker der verschiedenen Positionen und lässt ihn dabei erleben, was er sehen und hören kann, wie er sich fühlt in dieser Rolle.
Bezogen auf unser Thema der Verstrickungen, hervorgerufen durch unser systemisches Gewissen, kann der Klient auf diese Art erleben, warum beispielsweise seine Mutter/sein Vater immer so gehandelt hat bzw. immer wieder so handeln wird.
Diese Erfahrung kann ihm dabei helfen, zu erkennen, dass er mit seinem Handeln seiner Mutter/seinem Vater ähnlich ist bzw. ähnlich sein möchte oder es genau aus diesem gerade erlebten Grund heraus genau anders machen möchte. Diese Erkenntnis kann ihm dabei helfen, sein Handeln in bestimmten Situationen besser zu verstehen und durch dieses neue Verständnis ggf. auch zu ändern.
2. Visualisierungen
Wenn wir es als Coach mit Klienten zu tun haben, die über eine gute Vorstellungskraft verfügen und gut in sich hineinspüren können, ist es auch möglich, den Klienten zu bitten, die Augen zu schließen und sich die betreffende Person, mit der das Thema augenscheinlich in Verbindung zu bringen ist (z.B. seine Mutter/seinen Vater), vorzustellen. Der Coach bittet ihn, die betreffende Person vor seinem geistigen Auge auftauchen zu lassen und ihm zu beschreiben, wie groß sie ist, wie nah, wie weit entfernt, welchen Gesichtsausdruck sie hat, wie sie sich verhält, ob sie ihn anschaut oder ihm den Rücken zudreht oder ähnliches.
All diese Fragen helfen einerseits dem Klienten, sich die betreffende Person gut vorstellen zu können und andererseits dienen sie dem Coach dazu, sich ein Bild von der inneren Repräsentation der betreffenden Person beim Klienten zu machen. Je nachdem, wie sich diese darstellt, lassen sich wichtige Schlussfolgerungen hinsichtlich des Verhältnisses des Klienten zu der betreffenden Person ziehen. Sobald der Klient die „Beziehung“ zu der betreffenden Person in seiner Visualisierung herstellen konnte, kann der Coach durch gezielte Sätze, die er den Klienten nachsprechen lässt, versuchen, die Verstrickung und die damit einhergehende Blockade, die durch die tiefe Verbundenheit des Klienten mit der betreffenden Person entstanden ist, aufzulösen bzw. zumindest zu lockern.
Um den Klienten aus der Verstrickung zu lösen, gibt es zwei Möglichkeiten von Sätzen, die komplett unterschiedlich wirken:
Lösungs- und Bindungssatz
Lösungssatz
Der Lösungssatz holt den Klienten aus der Verstrickung heraus.
In der Regel lasse ich als Coach den Klienten zuerst einen Lösungssatz zu der betreffenden Person sagen. Nehmen wir z.B. einen Klienten, der sich sein Leben lang in einem speziellen Kontext genau so verhalten hat wie seine Mutter, aus Liebe und Treue zu ihr, aber auch aus Angst davor, die Zugehörigkeit zu seinem System zu verlieren, wenn er es dann auf einmal anders machen sollte.
Ein möglicher Lösungssatz in dieser Situation wäre: „Liebe Mama, aus Liebe zu Dir mache ich es genauso wie Du. Jetzt habe ich es erkannt. Ich möchte es jetzt auf meine eigene Art und Weise machen und achte und liebe Dich auch weiterhin als meine Mutter. Bitte schau freundlich auf mich.“
Reagiert die betreffende Person, in diesem Fall die Mutter, in der Visualisierung freundlich auf diesen Satz ist das ein Zeichen, dass es dem Klienten gelingen wird, auf diese Art und Weise die Verstrickung aufzulösen.
Oftmals aber auch reagiert die betreffende Person ungehalten, entfernt sich vom Klienten oder dreht sich von ihm weg. Auch kann es vorkommen, dass der Klient selbst sich schlecht fühlt, wenn er diesen Satz sagen soll. Für mich als Coach sind das Zeichen, dass der Klient bzw. seine Seele noch nicht bereit ist, die Verstrickung aufzulösen. Wir erinnern uns: Das systemische Gewissen zieht ihn zurück bzw. hält ihn in der Verstrickung wie ein starkes Gummiband. In diesem Fall ist es hilfreich, statt mit dem Lösungssatz mit dem Bindungssatz weiterzuarbeiten.
Bindungssatz
Der Bindungssatz hält den Klienten weiter in der Verstrickung und gibt dadurch erstmal Sicherheit.
Wenn der Klient, wie oben beschrieben, beim Aussprechen des Lösungssatzes auf Widerstände bei der betreffenden Person stößt bzw. sich selbst nicht wohl fühlt damit, ist es sinnvoll, ihn einen passenden Bindungssatz sprechen zu lassen.
In unserem obigen Beispiel wäre folgender Satz denkbar: „Liebe Mama, aus Liebe zu Dir mache ich es genauso wie Du.“
Wenn die betreffende Person in der Visualisierung wohlwollend darauf reagiert bzw. sich der Klient mit diesem Satz besser fühlt, ist es sinnvoll dabei zu bleiben. Meist ist der Klient dann noch nicht bereit für eine wirkliche Lösung aus der Verstrickung. Wenn der Klient oder die betreffende Person in der Visualisierung auch auf den Bindungssatz unzufrieden reagieren, kann das ein Zeichen dafür sein, dass die Lösung aus der Verstrickung bald möglich sein wird.
Ein Coach sollte niemals mehr erreichen wollen als sein Klient. Denn – wie hat es Paracelsus schon so schön gesagt: „Die Dosis macht das Gift.“ oder um es mit den Worten eines meiner geschätzten Lehrtherapeuten, Helmut Eichenmüller (Nürnberger Seminare) zu sagen: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Gerade die Arbeit mit dem eigenen Familiensystem erfordert ein hohes Maß an Geduld und eine gute Portion „Selbst- oder Eigenliebe“. Dieser Begriff bezeichnet die allumfassende Annahme meiner selbst in Form einer uneingeschränkten Liebe zu mir selbst, ähnlich zu, aber dennoch nicht zu verwechseln mit Selbstachtung, Selbstvertrauen oder Selbstwert.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ich immer erst mit einem Lösungssatz arbeite. Wenn dieser funktioniert, ist es gut und sehr wahrscheinlich, dass sich die Verstrickung und auch die damit verbundene Blockade auflösen. Wenn der Lösungssatz nicht funktioniert, wähle ich einen Bindungssatz, um dem Klienten weiterhin die Zugehörigkeit zu seinem System zu gewähren und ihm damit Sicherheit zu geben. Auch wenn ihn dieser Bindungssatz erstmal in der Verstrickung hält, hat der Klient durch die vorherige Anwendung des Lösungssatzes bereits eine mögliche Lösung gesehen. Auch das kann und wird im Unterbewusstsein des Klienten „weiterarbeiten“.
3. Rückgabe von Fremdgefühlen
Definition Fremdgefühle
Auch hier ist das systemische Gewissen mit im Spiel. Fremdgefühle sind Gefühle, die ein Mensch von jemand anderem, häufig einer Person innerhalb seines Familiensystems, unbewusst aus Loyalität zu dieser Person bzw. auch um die Zugehörigkeit zum System zu sichern, übernommen hat. Sie sind häufig über Generationen weitergegeben worden und belasten den Menschen, ohne dass er weiß, woher sie kommen bzw. warum er sich in gewissen Situationen komisch oder unangemessen verhält.
Wie können diese Fremdgefühle an die betreffende Person zurückgegeben werden?
Stößt man im Verlauf eines Coachings auf Fremdgefühle, die der Klient von einer anderen Person übernommen haben könnte, verfährt man nach dem folgenden NLP Format, um diese Gefühle, die nicht zum Klienten selbst gehören, an die betreffende Person zurückzugeben. Der Ablauf ähnelt dem bereits beschriebenen Vorgehen bei Visualisierungen:
- Der Coach bittet den Klienten, sich die Person vorzustellen, von der er das Fremdgefühl übernommen hat.
- Der Coach gibt dem Klienten vor, welche Worte er an die betreffende Person richten soll. Wichtig ist, dass der Klient, genau diese Worte wiederholt und der betreffenden Person in seiner Vorstellung dabei in die Augen sieht.
Auch das in diesem Format vorgegebene Wording gleicht den vorher beschriebenen Lösungs- bzw. Bindungssätzen: „Du bist mein Vater/meine Mutter, und ich bin Dein Sohn/Deine Tochter. Dieses Gefühl habe ich aus Liebe zu Dir übernommen, aber es ist nicht mein Gefühl, sondern Deines. Ich will es nicht und ich brauche es nicht mehr und gebe es Dir hiermit für alles Zeit zurück.“
- Der Coach kalibriert sich dabei auf den Klienten und achtet darauf, ob der Klient das Wording „ehrlich“ wiederholt und das Gefühl vollständig zurückgegeben hat. Im Bedarfsfall kann der Vorgang wiederholt werden.
- Zum Abschluss fragt der Coach den Klienten, wie er sich jetzt fühlt. Je nach Antwort kann es nun nötig und möglich sein, eine andere Interventionstechnik anzuschließen.
Future Pace und „Erstverschlimmerung“
Ein wichtiger Teil jedes NLP Coachings ist der sogenannte „Future Pace“ – ein „Schritt in die Zukunft“ – sozusagen das mentale Erleben zukünftiger Situationen mit den gewünschten Ressourcen. Ziel des Future Pace ist es, sicherzustellen, dass die angestrebten Verhaltensweisen und Reaktionen in den entsprechenden Situationen ganz natürlich und automatisch eintreten werden.
Ein Future Pace hat vier Aspekte:
- Ressourcenaufbau: Durch geistiges Erleben der erstrebten Veränderung werden Ressourcen in Form einer „hin-zu Motivation“ aufgebaut.
- Anker setzen: Es wird aus der Gegenwart (geistig) ein Anker in die Zukunft gesetzt. Dieser Anker (Erinnerungssignal) ist an einen Kontext geknüpft und sobald dieser auftritt, wird das neue Verhalten aktiviert.
- Training: In der vorgestellten Situation werden das neue Verhalten und Denken eingeübt.
- Test: Durch Beobachtung des Klienten während des Future Pace kann der Coach überprüfen, wie erfolgreich die Veränderung vermutlich umgesetzt werden wird und ggf. nacharbeiten.
Ein weiterer Aspekt des Future Pace ist es, dem Klienten ein Gefühl davon zu geben, wie er sich seine durch das Coaching erzielte Veränderung vorstellt bzw. um es anders auszudrücken, was der Klient glaubt, in welcher Weise sich die Veränderung in seinem realen Leben in Zukunft zeigen wird.
Sollte die Veränderung nicht wie gewünscht eintreten bzw. sich gar nichts tun oder sich das ungewünschte Verhalten sogar verschlimmern, zeigt sich auch hier noch einmal die Macht des systemischen Gewissens. Das starke Gummiband bzw. der Hütehund sorgen dafür, dass der Klient aus Angst davor, durch die Veränderung seine Zugehörigkeit zu seinem Familiensystem und damit auch seine Sicherheit zu verlieren, manchmal nicht gleich fähig sein wird, die von ihm gewünschte Veränderung, für die er oftmals noch dazu hart gearbeitet hat, umzusetzen. Das sollte jedoch weder den Klienten noch den Coach beunruhigen. Ganz im Gegenteil – diese „Erstverschlimmerung“ ist häufig ein Zeichen dafür, dass wir an der richtigen Stelle „gegraben“ haben. Jetzt heißt es „Ruhe bewahren“ und beobachten. Oftmals kommt die gewünschte Änderung im Laufe der Zeit doch noch im Leben des Klienten an, oder Coach und Klient arbeiten an der ein oder anderen Stelle nochmal nach.
Der Zusammenhang von Sekundärgewinn und systemischen Gewissen
Manchmal möchte jemand sein Verhalten nicht aufgeben, weil er dadurch auch ein anderes Ziel erreicht. Wenn der Raucher nicht mehr rauchen würde, hätte er vielleicht in der Arbeit keinen Anspruch mehr auf die Zigarettenpause. Das Freie* Institut Psychologie in Berlin erklärt den Sekundärgewinn so: Je nachdem “woraus” das Problem besteht, welches Thema es hat, kann es eine Phantasie (Illusion) darüber geben, dass durch eine Lösung auch wichtige Vorteile wegfallen (= “Sekundärgewinn” eines Problems). Das führt letztendlich dazu, dass am Problem festgehalten wird – “das Problem als das kleinere Übel”. Man geht davon aus, dass es einen Persönlichkeitsanteil gibt, der eine positive Absicht verfolgt, um den Sekundärgewinn zu bewahren.
Auch hier zeigt sich nochmal der Zusammenhang mit unserem systemischen Gewissen. Wenn ich als Klient mein Verhalten nicht ändern kann und bei meinem ursprünglichen, lang schon eingeübten Verhalten bleibe, habe ich ein „gutes Gewissen“ gegenüber meinem System und muss mir keine Sorgen machen, dass ich meine Zugehörigkeit zu meiner Familie durch anderes Verhalten verlieren könnte.
Als Coach kann ich diese Verstrickung manchmal auch bereits bei der Abklärung des Anliegens im Coach Gespräch erkennen. Wenn ein Klient bei der Beschreibung seines Ziels, seiner gewünschten Veränderung eher verhalten wirkt und keine wirkliche Begeisterung für sein Ziel wahrzunehmen ist, bei der Beschreibung seines Problems aber über das ganze Gesicht strahlt, kann das ein Zeichen dafür sein, dass ihm die Zugehörigkeit zu seinem Familiensystem, die er durch das Beibehalten des bisherigen Verhaltens weiterhin stärkt, viel wichtiger ist, als die von ihm angestrebte Veränderung. Selbstverständlich passiert all das auf einer für den Klienten nicht wahrnehmbaren, tief unbewussten Ebene.
Dazu fällt mir ein Beispiel aus meiner Zeit in der Ausbildung zur Systemischen Aufstellerin ein. Eine Ausbildungskollegin, die aus einer langen, Generationen übergreifenden Familiendynastie von Friseuren stammte – Mama, Papa, Oma, Uroma, aber auch alle älteren Geschwister Friseure – natürlich auch sie selbst erfolgreiche, aber mittlerweile frustrierte Friseurin, hatte große Schwierigkeiten sich beruflich zu verändern. Sie hatte keinen Spaß mehr an ihrer Arbeit und ihre Leidenschaft für die Naturheilkunde entdeckt. Als ich sie 2013 in meiner Ausbildung kennenlernte, stand sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Heilpraktikerin – lediglich die Prüfung stand noch aus.
Im Laufe unserer gemeinsamen, zweieinhalb Jahre dauernden Ausbildung konnte ich beobachten, dass sie mehrere Anläufe benötigte, um sich zur Heilpraktikerprüfung anzumelden. Obwohl sie fachlich absolut ausreichend Wissen angehäuft hatte und auch menschlich sehr gut für diese neue Tätigkeit geeignet war, brachte sie es nicht fertig, sich zur Prüfung anzumelden. Auch die T atsache, dass sie sich ungemein freute, bald als Heilpraktikerin tätig zu sein und Menschen im Krankheitsfall bzw. bei Problemen begleiten zu können, half nicht dabei, die Anmeldung für die Prüfung einzureichen.
Was sie behinderte, war u.a. auch ihr systemisches Gewissen. Wie konnte sie, als Tochter, Enkelin und kleine Schwester von erfolgreichen und den von ihr so sehr geachteten Vorbildern, allesamt Friseure, „einfach so“ ihren Beruf wechseln, ohne ihre Zugehörigkeit zu dieser Familie zu verlieren? Diese Frage und die damit verbundene große Angst war ihr selbstverständlich in keiner Weise bewusst. Und so bedurfte es einiger Coachings und Interventionen, um sie zu befähigen, die – sollte man meinen – banale Anmeldung zur Prüfung auch zu tätigen. Die Prüfung hat sie natürlich bestanden.
Heute ist sie eine erfolgreiche Heilpraktikerin, die voller Freude in ihrem neuen Berufsfeld arbeitet, und die natürlich nicht die Zugehörigkeit zu ihrem Familiensystem verloren hat.
Dieses Beispiel zeigt sehr eindrucksvoll, wie sehr der Hütehund die einzelnen Schafe bei der Herde halten kann. Es zeigt aber auch, dass es sich lohnt, seine Träume zu verfolgen, auch wenn es manchmal so aussieht, als würden sie niemals wahr werden.
Schlusswort
Ich, als mittlerweile langjährige NLP Anwenderin, kann nur jeden Einzelnen ermutigen, sich seiner Träume und Wünsche bewusst zu werden und sich mit den Hindernissen, die sich uns mitunter in den Weg stellen, auseinanderzusetzen. In diesem Zusammenhang denke ich gerne an eine meiner liebsten NLP Vorannahmen: Alle Menschen haben Ressourcen, um jede gewünschte Veränderung an sich vorzunehmen.
Als Personalreferentin möchte ich es nicht versäumen, kurz vor Schluss doch noch einen kleinen Ausflug in die Welt der positiven Wirkung des systemischen Gewissens in Unternehmen zu machen.
Wie schon mehrfach erwähnt, sorgt das systemische Gewissen dafür, dass sich der Einzelne dem System zugehörig fühlt bzw. im System verankert bleibt. Diese Dynamik kann man in Unternehmen positiv verstärken, indem eine Unternehmensvision erarbeitet wird.
Die Vision eines Unternehmens ist eine Leitidee, ein langfristiges Zukunftsbild des Unternehmens. Dieses Zukunftsbild beschreibt die Einzigartigkeit des Unternehmens und gibt ihm dadurch eine Identität. Für die Mitarbeiter zeigt die Vision Sinn und Nutzen ihres Handels auf und stiftet dadurch auch Sinn. Aus der Unternehmensvision lassen sich die wichtigsten Unternehmensziele und Unternehmensstrategien ableiten. Sie gibt den Mitarbeitern Orientierung – auch in Krisenzeiten – und schafft eine starke Identifikation mit dem Unternehmen. Die in der Vision festgehaltenen Werte, die im Unternehmen von der Geschäftsführung und den Mitarbeitern gelebt werden, tragen dazu bei, dass das systemische Gewissen im Unternehmen entsteht und helfen dabei, den Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen zu binden.
Als NLP Coach ist es mir eine Freude, mit all meinen Fähigkeiten und meiner ganzen Energie, meine Klienten auf der spannenden Reise zu sich selbst begleiten und unterstützen zu dürfen.
Schließen möchte ich meine Ausführungen nun mit einem bekannten Zitat des irischen Lyrikers und Bühnenautors Oscar Wilde, allerdings in leicht abgewandelter Form, um der Realität mehr die Ehre zu geben:
„Am Ende wird vieles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“
NLP-Professional-Coach, Andrea Aigner
Quellenverzeichnis
Pixabay (Bild Titelseite)
Heiko Alexander, Alexander Training, Unterlagen für die NLP Practitioner und Master Ausbildung
Andreas Gauger (Glaubenssatzmolekül) Systemische Gesellschaft (Systemischer Ansatz)
Nürnberger Seminare, Dipl. Volkswirt Helmut Eichenmüller (Familiensystem als lebendiges System, Die drei Säulen nach Hellinger)
Wikipedia (Kurze Vorstellung Bert Hellinger, Selbstliebe) Trinergy International, Wien (Fremdgefühle)
FIP – Freie* Institut Psychologie | Berlin (Sekundärgewinn) NLPedia (Future Pace)
Manager-wiki.com (Vision)